Warum Gewöhnung und Vergleichen so destabilisierend wirken
Innere Stabilität kommt selten aus dem, was wir an neuen Bereicherungen in unser Leben einbauen, sondern aus dem wiederholten Bewusstwerden dessen, was wir schon alles haben. Wir alle leben in diesem Kulturkreis in einer Art Schlaraffenland – egal wie viel wir besitzen und verdienen. Solange wir Arbeit haben und gesund sind, geht es uns eigentlich viel besser, als wir uns meistens fühlen. Bei vielen von uns ist das aber leider nicht das dominierende Gefühl, mit dem sie morgen aufwachen – im Gegenteil.
Alles eine Frage der Perspektive
Die ersten Gedanken richten sich oft automatisch auf irgendein ungelöstes Problem vom Vortag. Es ist wie eine Art Autopilot – wir suchen unser Leben ab nach den Punkten, die nicht funktionieren, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen, die – wie wir meinen – falsch und fehlerhaft sind. So ganz unsinnig ist dieses Vorgehen natürlich nicht – es garantiert unser Überleben. Auf jedes Gefahrensignal reagieren wir schneller und stärker als auf erfreuliche Dinge – nur so können wir uns im Ernstfall sofort in Sicherheit bringen. Hätte sich unser entfernter Vorfahre, der Neandertaler, in der Wildnis in erster Linie an der schönen Landschaft, den Blumen und dem Vogelgezwitscher erfreut, wäre er möglicherweise vom Bären gefressen worden, der hinter einem Baum seiner Aufmerksamkeit entgangen war. Das Problem ist nur, dass wir nicht mehr im Neandertal leben und das, was einmal ein Überlebensmechanismus war (und heute – zum Beispiel im Straßenverkehr – immer noch ist) leider keinen positiven Einfluss auf unser Gefühl der Zufriedenheit und Lebensfreude hat. Denn während sich die Gedanken auf das eine Problem richten, vergisst man völlig, dass da noch eine ganze Menge andere Dinge positiv zu bewerten sind: Sie sind selbst gesund, haben eine gesunde Familie habe, einen Beruf, der ihnen Freude macht, Freunde, genug zu essen, leben in einem Haus, in das es nicht reinregnet und warm ist, in einem Wohlstandsland ohne Krieg oder Diktatur und so weiter. Dies muss man sich tatsächlich immer wieder erst aktiv bewusst machen, sonst richtet sich der Focus der Aufmerksamkeit fast nur noch auf die Dinge, die nicht stimmen.
Zwei weitere unbewusst ablaufende Mechanismen verstärken diesen Effekt noch:
- Die Gewöhnungsfalle Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass im Urlaub der erste Sonnenuntergang am ersten Abend immer den größten Eindruck hinterlässt? Am zweiten Tag freut man sich noch daran, aber nach spätestens einer Woche lässt man ihn halt einfach stattfinden … ohne noch groß darauf zu achten. Wir gewöhnen uns an Dinge, im positiven wie negativen Sinn. Es ist ein natürlicher Mechanismus, wiederholt vorkommende Reize mit der Zeit auszublenden und unsere Aufmerksamkeit auf neue Ziele zu richten. Bei negativen Reizen mag das sogar hilfreich sein. Nur bei den positiven Dingen im Leben ist es verhängnisvoll. Denn die große Gefahr ist, all die Reichtümer im Leben mit der Zeit für selbstverständlich zu nehmen, abzustumpfen, übersättigt zu werden. Und das wirkt sich selten positiv auf die innere Stabilität aus.
- Der Vergleichsmechanismus Neben der kontinuierlichen Gewöhnung leben wir auch in einem ständigen Vergleichsmodus. Auch dieser Mechanismus ist nicht per se schlecht. Würden wir uns mit Menschen vergleichen, denen es schlechter geht als uns, so könnte dies unsere Widerstandskraft sogar steigern. Psychologische Experimente haben zum Beispiel ergeben, dass schon die bloße Anwesenheit eines Rollstuhlfahrers bei den meisten Menschen die Stimmung hebt und sie auf Fragebögen über die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben höhere Werte ankreuzen ließ. Leider haben wir eher die Tendenz, uns mit Menschen zu vergleichen, denen es – scheinbar oder real – besser geht als uns selbst. Und wenn gerade mal keine lebenden Vergleichsobjekte zur Hand sind, so können wir uns doch zumindest an den durch ("soziale") Medien und Werbung suggerierten Idealbildern messen – und schneiden dabei meist sehr schlecht ab. Nur zu leicht entstehen dabei Gefühle von Frustration, Neid und Unzufriedenheit.
Dank ändert die Blickrichtung
Ein gutes Mittel, um diesen für unser Gleichgewicht verhängnisvollen Mechanismen zu entkommen, ist das Danken. Danken verändert und verbessert tatsächlich die Perspektive. Machen Sie sich immer wieder die Dinge bewusst, die in Ihrem Leben in Ordnung sind, für die Sie dankbar sein können. Danken ist in vielen Situationen eine hochwirksame Selbstbeeinflussungs-Strategie. Und vorbeugend kann bewusste Dankbarkeit verhindern, dass Sie überhaupt erst in destabilisierenden Zustand von Unzufriedenheit und Selbstmitleid hineingeraten. Schalte ich meinen inneren Fokus von „Was läuft falsch, was fehlt?“ um auf „Was läuft richtig, was ist gut?“, kann ich die Balance zwischen Anspruchs- und Wunschdenken einerseits und Zufriedenheit und Dankbarkeit andererseits wiederherstellen. So wirkt Dankbarkeit als eine der wichtigsten Ressourcen für unsere innere Stabilität. Danken hat damit eine unmittelbare Wirkung auf unsere psychische Verfassung.
- Danken erweitert unser Blickfeld. Wenn ich mir bewusst mache, dass es neben den negativen auch zahlreiche positive Aspekte und Dinge in meinem Leben gibt, dann sehe ich die Welt gewissermaßen durch ein Weitwinkelobjektiv, mit dem ich tatsächlich die ganze Bandbreite meines Lebens wahrnehmen kann. Sicher: Die bestehenden Probleme sind damit nicht aus dem Blickfeld verschwunden; aber sie werden in ihrer Bedeutung in Bezug gesetzt zu den vielen anderen Dingen, die in meinem Leben stimmen. Auf diese Weise verhindert Danken auch, dass ich nur noch um mich selber und meine Probleme kreise.
- Danken erzeugt positive Bilder. Der Gedanke an etwas, wofür ich dankbar sein kann – ein geliebter Mensch, ein schönes Ereignis, ein erreichter Erfolg – lässt automatisch ein Bild davon vor dem inneren Auge entstehen. Dieses positive Bild bewirkt ebenso automatisch ein gutes Gefühl in mir, verbunden mit einer entsprechend großen oder kleinen Endorphinausschüttung im Gehirn, je nachdem wie stark die Freude ist, die in mir dabei aufkommt.
- Die unmittelbare positive Auswirkung des Dankens auf unser Wohlbefinden wurde auch in diversen Forschungen belegt. So ergab sich, dass dankbare Menschen weniger anfällig sind für Depressionen und mit Stresssituationen besser umgehen können. Sie konnten negative Ereignisse und Schicksalsschläge besser verarbeiten, engagierten sich häufiger ehrenamtlich und in sozialen Projekten und setzten ihre Lebensziele stringenter um.
Sie wollen wissen, wie Sie einen "Dankmechanismus" ohne großen Aufwand in Ihr Leben integrieren können? Tipps dazu bekommen Sie nächste Woche an dieser Stelle.