Nicht ärgern, nur wundern!
Das Grundprogramm, mit dem wir ein Ereignis betrachten, entscheidet häufig über die Perspektive. Und wenn es gelingt, dieses Grundprogramm zu ändern - als eine Art inneres Zappen gewissermaßen - kann sich das positiv auf die Wahrnehmung auswirken.
Vor Jahren verbrachte ich den Urlaub mit meiner Familie am Meer. Wie Familienurlaube manchmal so sind: Es war nicht ganz unanstrengend, die Kinder hatten deutlich mehr Energie als der Papa, und nach zahlreichen Sandburgen und Ballspielen freute ich mich auf die eine halbe Stunde am Abend, die ich mir ausbedungen hatte: Allein mit einem Buch am Meer, die große Masse der lieben Miturlauber schon an den Hotelbuffets, und die paar Strandläufer, die um diese Zeit noch unterwegs sind, würden mich schon nicht stören.
Nein, die Strandläufer störten mich auch nicht. Ich saß aber noch gar nicht so richtig, da nahte anderes Unheil: eine Hochzeitsgesellschaft, so ca. 30 Leute, die das romantische und absolut instagramtaugliche Sonnenuntergangspanorama für ihre Fotos nutzen wollten. Sie hatten den ganzen Strand zur Verfügung, in die eine Richtung ein paar Kilometer, in die andere auch nicht weniger, wir hätten an diesem Abend wirklich überhaupt nichts miteinander zu tun haben müssen – aber sie stellten sich genau zwischen meinen Liegestuhl und das Meer. Es schien sie überhaupt nicht zu stören, dass ich hier saß, meine Ruhe haben und den Sonnenuntergang genießen wollte – sie schienen mich nicht einmal zu bemerken. Es war – und davon war ich zu diesem Zeitpunkt zutiefst überzeugt – einfach eine Unverschämtheit, was sie mir da zumuteten, ich hatte jede Berechtigung, mich darüber aufzuregen, war das doch die einzige halbe Stunde, die ich an diesem Tag für mich hatte. Ich konnte das Ansteigen des Adrenalinspiegels in mir beinahe körperlich spüren. In Gedanken ging ich die Möglichkeiten durch, die mir blieben: Ich könnte meinem Ärger Luft machen und auf das Angriffsprogramm umschalten, also versuchen, sie zu verscheuchen. Angesichts der Kräfteverhältnisse erschien mir das allerdings eher unvernünftig und wenig erfolgversprechend zu sein. Flucht wäre auch eine Alternative gewesen – aber ich war immerhin zuerst da und ich hätte einen Teil meiner halben Stunde für den Standortwechsel drangeben müssen. Das kam nicht in Frage. So wechselte ich in Gedanken also von Programm zu Programm: Ärger, Angriff, Flucht … schließlich entdeckte ich aber noch eine andere Sichtweise: Das „Wunderprogramm“. Ich wunderte mich einfach: „Ist es nicht verrückt: Da will ich eine halbe Stunde am Tag meine Ruhe haben, und ausgerechnet da kommt diese Hochzeitsgesellschaft? Sie haben den ganzen Strand zu Verfügung – und kommen ausgerechnet zu mir? Absurd! Beinahe schon zum Lachen.“ Und tatsächlich, als ich an dieser Stelle angelangt war, schmunzelte ich zumindest innerlich (äußerlich wollte es mir noch nicht so recht gelingen). Ich war vom Wunder- zum Humorprogramm gelangt. Und da wurde mir auf einmal klar: Ich hatte die Wahlfreiheit zwischen den Programmen: Ob ich beim Ärgerprogramm blieb oder umschaltete auf das Wunder- oder sogar Humorprogramm lag letztlich nur bei mir. Und mit der Erkenntnis dieser Wahlfreiheit kam dann endlich auch ein bisschen innere Ruhe, die ich mir ja eigentlich von dieser halben Stunde erhofft hatte. Und so hatte die Hochzeitsgesellschaft sogar noch etwas Positives bewirkt, mehr wahrscheinlich, als mir ein paar Seiten aus meinem Buch gebracht hätten.
Probieren Sie also in Zukunft einmal einen inneren Programmwechsel, zum Beispiel vom Ärger- zum Wunderprogramm. Zappen Sie, bis Sie das richtige Programm zur Stressbekämpfung haben.