Stress ist ein – inzwischen auch nicht mehr ganz taufrisches – Modewort, das in den letzten Jahrzehnten so ziemlich jeden Lebensbereich durchdrungen hat. Wir haben Alltagsstress, Berufsstress und Schulstress, oftmals auch Beziehungsstress, und wenn wir dann endlich mal abschalten könnten, kommt der Freizeitstress. Im Stress zu sein ist „in“, wer ihn hat, muss nicht zu großen Erklärungen ansetzen und sich auch nicht rechtfertigen. Paradoxerweise ist das bei Gegenteil häufig anders: Wer Ruhe und Muße hat, gerät leicht in den Verdacht, ein Müßiggänger, vielleicht sogar Faulenzer zu sein – das erzeugt dann manchmal doch Rechtfertigungsdruck. Also dann doch lieber: Stress (so denken vielleicht manche).
Stressreaktion gestern und heute
Aber was ist Stress eigentlich? Hans Selye, der „Vater der Stressforschung“, definierte sehr einfach: Stress ist eine körperliche Anpassungsreaktion auf Reize der Umwelt. Das ist sehr treffend – und auch sehr knapp. Es geht natürlich auch etwas genauer: Die Stressreaktion an sich ist etwas völlig Normales, ja sogar Lebensnotwendiges. Bei Reizen von außen wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt: Unter anderem werden die Botenstoffe Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, der Puls beschleunigt sich, die Atmung ebenso, der Blutdruck steigt. Das Ziel: Kampf oder Flucht. Denn entwicklungsgeschichtlich betrachtet war dieser Mechanismus für Fälle höchster Gefahr vorgesehen – also für den klassischen Fall der Begegnung von Urzeitmensch und Braunbär, wobei letzterer überwiegend feindliche Absichten hegte. Die Stressreaktion ermöglichte es, unter Ausschaltung komplizierter Denkprozesse sofort zu reagieren. Das kann auch heute noch von Nutzen sein, zum Beispiel im Straßenverkehr.
Aber was genau passiert bei so einer Stressreaktion im Körper? Und warum bringt uns Stress so schnell aus dem Gleichgewicht? Genau betrachtet könnte man den Stressablauf als ein Drama in drei Akten schildern:
- Sämtliche Umweltreize (und hier geht es vor allem um die, die wir als gefährlich oder belastend empfinden) werden zunächst nicht rational verarbeitet (und zwar vom Großhirn, das uns ja erst zu vernünftigen Lebewesen macht), sondern emotional von unserem Zwischenhirn, dem Sitz für Gefühlsreaktionen. Hier wird über Kampf- oder Fluchtverhalten entschieden. Anstatt also zunächst einmal innezuhalten und die Situation zu analysieren, kommt sofort der Impuls zur Aktion – und häufig kommt bei solchen Aktionen nicht viel raus.
- Im zweiten Schritt wird nun an das Stammhirn signalisiert: Gefahr! Und für dieses Signal hat das Stammhirn auch eine „standard operating procedure“: Es schüttet Adrenalin aus. Dieses Hormon soll uns in die Lage versetzen, uns zu verteidigen – oder schnell wegzulaufen. Es beschleunigt den Puls, sorgt für eine bessere Durchblutung der Muskeln und mobilisiert Zucker- und Fettreserven. Eigentlich könnten wir jetzt zur Hochform auflaufen …
- … Wenn nicht – und das ist der dritte Schritt der Stressreaktion – immer mehr Adrenalin in den Blutkreislauf gelangen und seine volle Wirkung entfalten würde. Denn dann kommt irgendwann der Punkt, an dem dieses Hormon unser Großhirn völlig blockiert. Also genau die Zentrale, die uns in einer Stresssituation noch zur Rettung – einem klaren Gedanken – verhelfen könnte, wird ausgeschaltet. Die Folge: Wir reagieren wie ein kampfhormongesteuerter Neandertaler – was uns nicht selten noch mehr in Stress bringt.
Verhängnisvolles Adrenalin
Diese ganze Reaktion ist normal und sinnvoll – wenn denn eine wirkliche Gefahrensituation vorhanden ist, die uns eine solche „hormongesteuerte“, also automatische Reaktionsweise abverlangt. Im Normalfall ist dann mit dem Ende der Bedrohungssituation das Adrenalin „verbraucht“ (Kampf oder Flucht!), das körpereigene Stresssystem wird wieder heruntergefahren: Der Puls verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt, Atmung und andere Körperfunktionen normalisieren sich.
Schlechter hingegen läuft es, wenn dem Körper diese notwendigen Ruhephasen nicht zur Verfügung stehen. Folgt einem stressauslösenden Ereignis sofort das nächste, bleibt der Körper in ständiger Alarmbereitschaft. Mit der Zeit gewöhnt sich der Körper daran – und „beschließt“ gewissermaßen, dass diese ständige Alarmbereitschaft von nun an der Normalzustand ist. Er passt sich einem höheren Stressniveau an. Das hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Unser Stressbewältigungssystem ist nicht auf Dauerbetrieb ausgelegt. Welche Folgen wiederkehrender und anhaltender Stress für uns haben kann, veranschaulicht sehr treffend das „Hormontopfmodell“ von Vera F. Birkenbihl. Sie nennt das selbst ein absurdes, doch hilfreiches Denkmodell. Stellen Sie sich vor, das Adrenalin, das Sie während jeder Stressreaktion produzieren (und noch ein paar andere „Kampfhormone“ mehr), sammelt sich in einem Messbecher irgendwo in Ihrer Magengrube. Jeder kleine Stressfaktor lasst den Pegelstand ein wenig weiter anwachsen, größere Stresserlebnisse entsprechend schneller. Das alles ist an sich kein großes Problem, denn es gibt einen Abfluss: Am Boden des Bechers finden sich ein paar kleine Löcher, durch die alle Kampfhormone versickern; langsam, aber stetig. Allerdings gibt es kein Regulierungsventil für die Abflussgeschwindigkeit – die ist fix. Bedenklich wird die Situation deshalb dann, wenn mehr Adrenalin hinzukommt, als unten wieder entweichen kann. Das kann unangenehme Konsequenzen haben.
- Je mehr Adrenalin im Topf ist, desto schlechter wird die Wahrnehmung. Sie bekommen gewissermaßen die getrübte Brille des Pessimisten aufgesetzt, nehmen die Dinge viel negativer wahr, als sie eigentlich sind, und produzieren dann noch mehr Kampfhormone.
- Wenn der Topf dann langsam voll und voller wird, zieht er Sie immer weiter hinab in diesen Strudel. Das Adrenalin blockiert das Denkvermögen – das wurde schon oben bei der Stressreaktion dargestellt.
- Mit der Zeit allerdings wird es richtig problematisch, und zwar dann, wenn wir dauerhaft im Stress sind. Denn Dauerstress führt zu „Abnutzungserscheinungen“ im Körper. Er schwächt das Immunsystem, erhöhte Blutdruck- und Blutfettwerte steigern das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall, auf Dauer sinken Gedächtnis- und Konzentrationsleistung, ganz allgemein nehmen Kreativität und Leistungsfähigkeit ab und die Gefahr von ernsthaften psychischen Erkrankungen, wie depressive Zustände oder Burnout-Syndrom, wächst.
Hilfreiche Anti-Stressstrategien
Es gilt also, dem Stress zu entkommen – aber wie? Gefährlich und destabilisierend ist Dauerstress ja vor allem wegen des erhöhten Adrenalinspiegels, denn er ist es vor allem, der zu typischen Stresskrankheiten wie Herz- oder Magenproblemen führt. Effektives Stressmanagement setzt daher – bildlich gesprochen – an einer Senkung dieses Adrenalinspiegels an – man könnte auch sagen: Es gilt, den Pegelstand im Hormontopf im Auge zu behalten. Drei Strategien haben sich bewährt:
- Stress VERhindern, vor allem durch eine genaue Analyse der Faktoren, die einen immer wieder in Stress bringen. Mit gezielten Maßnahmen, insbesondere einer guten Planung, lassen sich diese Faktoren zumindest teilweise vermeiden.
- Stress VERbrennen durch körperliche Aktivität, insbesondere Sport.
- Stress VERdünnen durch Aktivierung des körpereigenen Belohnungssystems.